Weißt du, wie viel Sternlein stehen
Weißt du, wie viel Sternlein stehen
an dem blauen Himmelszelt?
Weißt du, wie viel Wolken gehen
weithin über alle Welt?
Gott, der Herr, hat sie gezählet,
dass ihm auch nicht eines fehlet
an der ganzen großen Zahl.
Weißt du, wie viel Mücklein spielen
in der heißen Sonnenglut?
Wie viel Fischlein auch sich kühlen
in der hellen Wasserflut?
Gott, der Herr, rief sie mit Namen,
dass sie all ins Leben kamen,
dass sie nun so fröhlich sind.
Weißt du, wie viel Kinder frühe
stehn aus ihrem Bettlein auf,
dass sie ohne Sorg und Mühe
fröhlich sind im Tageslauf?
Gott im Himmel hat an allen
seine Lust, sein Wohlgefallen,
kennt auch dich und hat dich lieb.
Wilhelm Hey (1789-1854)
(Melodie: Volkslied 1818)
Dass der liebe Gott die unendlich vielen Sterne zählen kann, hat Kinder über viele Generationen hinweg erstaunt und beruhigt. Auch sie können sich so himmlisch geborgen wissen. Gegen den theologischen Rationalismus seiner Zeit schrieb der thüringische Pfarrer Johann Wilhelm Hey (1789-1854) Fabeln für Kinder. Neben „Weißt du, wie viel Sternlein stehen“ ist auch sein Weihnachtslied „Alle Jahre wieder“ bis heute in vielen Gesangbüchern zu finden.
Johann Wilhelm Hey war ein Mann, der seinen christlichen Glauben und sein selbstloses Ideal nicht nur predigte, sondern vorlebte. Er war Pädagoge, Pfarrer, später Superintendent; ein Kinderlied-, Kirchenlied- und Fabeldichter. Sein Leben verzeichnete viele Schicksalsschläge, dennoch war er nie verbittert. Er führte ein Leben zwischen Hoffen und Zagen, zwischen Nächstenliebe und unerfüllter Sehnsucht verpasster Gelegenheiten. Er konnte sich immer neuen Anforderungen stellen.
Der Pfarrerssohn J. Wilhelm Hey wächst nach dem Tode seiner Eltern bei seinem Bruder Karl auf. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Gotha studiert er Theologie in Jena und Göttingen. 1811 bis 1814 ist er als Hauslehrer in Appeltern in den Niederlanden tätig und wirkt danach als Lehrer in einem Gothaer Schulinternat, bevor er 1818 Pfarrer in Töttelstädt in der Nähe von Gotha wird.
Im Jahre 1827 erhält Hey die Berufung zum Hofprediger in Gotha, wird von hier jedoch fünf Jahre später als Pfarrer, Superintendent und Bezirksschulinspektor nach Ichtershausen in Thüringen versetzt. Dort widersetzt er sich dem theologischen Rationalismus, wirkt für ein lebendiges Christentum und engagiert sich für sozialdiakonische Projekte. Er gründete eine „Hilfskasse für Handwerker“, auch eine von ihm selbst betreute „Fortbildungsschule für Handwerkerlehrlinge“ und ein „Kinderheim“, das arbeitenden Müttern die Sorge um ihre Kleinen abnimmt.
1847 ehrt ihn die Theologische Fakultät der Universität Heidelberg mit der Ehrendoktorwürde, als „einen um ganz Deutschlands Jugend hochverdienten Mann“. Bis zu seinem Tode bleibt Johann Wilhelm Hey seiner Überzeugung und seinem Engagement für eine dem Menschen zugewandte Theologie treu.
J.W. Hey schloss 1810 die Ehe mit Auguste Grosch, die 1827 verstarb. 1832 heiratete er Luise von Axen. 1838 wurde der Sohn Wilhelm geboren.
Berühmt wurde Wilhelm Hey als Fabeldichter dank seiner im Jahre 1833 anonym erschienenen „Fünfzig Fabeln für Kinder“ und „Noch fünfzig Fabeln für Kinder“. Seine Fabeln wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Der Dichter Wilhelm Hey trat ebenfalls als Übersetzer hervor. So übersetzte er 1830 aus dem Englischen „The Course of Time“ von Robert Pollok (1798-1827). Darüber hinaus veröffentlichte er unter anderem eine Auswahl von Predigten (1829), er schrieb „Erzählungen aus dem Leben Jesu für die Jungen“ (1838) und „Das Kind von der Wiege bis zur Schule“ (1850).
Sein Gutenachtlied „Weißt du, wie viel Sternlein stehen“ ist bis heute eines der beliebtesten Kinderlieder geblieben und steht im Evangelischen Gesangbuch (Nr. 511). Aus Heys Feder stammt auch der Text zum Weihnachtslied „Alle Jahre wieder“.
1. Alle Jahre wieder,
kommt das Christuskind
auf die Erde nieder,
wo wir Menschen sind.
2. Kehrt mit seinem Segen,
ein in jedes Haus,
geht auf allen Wegen
mit uns ein und aus.
3. Steht auch mir zur Seite,
still und unerkannt,
dass es treu mich leite
an der lieben Hand.
Allgemein bekannt ist auch das folgende Morgengebet:
Wie fröhlich bin ich aufgewacht,
wie hab ich geschlafen so sanft die Nacht.
Hab Dank, du lieber Vater mein,
dass du hast wollen bei mir sein.
Behüte mich auch diesen Tag,
dass mir kein Leid geschehen mag.
Amen.
Weitere bekannte Lieder sind „Vöglein im hohen Baum“ und „Wer hat die Blumen nur erdacht“.
So etwa können wir uns den aktiven thüringischen Superintendenten und Bezirksschulinspektor Johann Wilhelm Hey in Ichtershausen vorstellen. Durch den Dreißigjährigen Krieg und die Pest war die Einwohnerzahl des Ortes auf nur noch 700 gesunken. Das Zisterzienserinnenkloster mit der markanten Klosterkirche „St.Georg und Marien“ ragt trotzdem stolz und erhaben über das Gera-Tal.
Während der napoleonischen Befreiungskriege (1813-15) war das Schloss zu einem „Königlich-Preußischen Reservelazarett“ eingerichtet worden. In ihm wurden insgesamt 1 400 preußische Soldaten gegen Typhus behandelt, von denen 700 verstarben. Sie wurden nahe Ichtershausen jenseits der Gera in Gemeinschaftsgräbern beerdigt und 1819 von der Gemeinde durch Errichtung eines Denkmals geehrt: das Preußengrab. Ichtershausen selber verlor 152 Menschen und damit ein Viertel seiner Einwohner durch die eingeschleppte Seuche. Das Schloss wurde über Jahrzehnte von der Bevölkerung gemieden. Ichtershausen hat viel Not und Elend gesehen.
Als Pfarrer Wilhelm Hey 1832 aufgezogen war, konnte sich der Ort langsam von seiner Niederlage erholen. Aber auch er selbst war ein leidgeprüfter Mann, denn seine erste Frau Auguste war ihm vor ein paar Jahren weggestorben, ohne dass sie ihm ein Kind hatte schenken können. Das bedeutete immer auch viel Schande und üble Nachrede, wo er doch ein gläubiger und Gott vertrauender Mensch war. Er hat sich wieder verheiratet mit Luise, die ihm, dem fast Fünfzigjährigen, 1838 immerhin einen Sohn geschenkt hat. Er nannte ihn, wie sollte es anders sein, Wilhelm.
In der Zeit der Kinderlosigkeit kümmerte sich Pfarrer Hey um die Kinder anderer Leute. Die Not zwang viele Frauen zur wenig bezahlten Erwerbsarbeit. Aber was sollte mit den Kindern geschehen? Kurz entschlossen gründete der Seelsorger einen Kindergarten und ein „Kinderheim für arbeitende Mütter“. Damit war er seiner Zeit weit voraus. Seine „Hilfskasse für Handwerker“ brachte schließlich Arbeit und Brot und eine von ihm selbst betreute „Fortbildungsschule für Handwerkerlehrlinge“ sollte aus den verwahrlosten und hoffnungslosen jungen Menschen tüchtige Männer und Väter werden lassen.
Nach einem schwül-heißen Sommertag saß Pastor Hey abends an seinem Lieblingsplätzchen: eine Bank aus Birkenholz am Waldrand. Hinter ihm kühlte die Luft aus dem Tannenwäldchen und vor ihm flimmerte noch die Tageshitze in der Abendsonne. Er war gern allein, denn alles, was ihn am Tag bewegte, das bewegte er am Abend im Gebet vor Gott. Ihm konnte er vertrauen.
Aber hatte es auch gern, wenn sich eines seiner Pfleglinge zu ihm stahl und neben ihm still Platz nahm. Kinder sind aber nicht lange still. Sie wissen immer etwas, sie fragen ständig und geben keine Ruhe. So auch an diesem Abend. Der kleine Bengel wollte wissen: „Pastor, weißt du, wie viel Sternlein stehen?“ War das eine echte Frage oder sollte sie ihn in Verlegenheit bringen.
Pädagogisch gekonnt fragte er zurück: „Weißt du, wie viel Wolken über den Himmel ziehen?“ Lächelnd verlegen stutzte der forsche Frager. Nein, das wusste er nicht.
Nicht verlegen gab er nun die Frage zurück: „Pastor, weißt du, wie viel Mücklein in der Luft spielen?“ Dem Pfarrer machte es sichtlich Spaß: „Nein, aber weißt du, wie viel Fischlein dort im Bächlein spielen?“
Jetzt war das Bübchen dran: „Pastor, weißt du, wie viel Kinder morgens aus dem Bettchen aufstehen?“ Er fühlte sich ganz stark, denn auch er steht morgens frisch auf und beginnt seinen Tageslauf fröhlich. Nicht ganz ohne Sorg und Mühe, aber doch erleichtert und beschützt durch die fürsorgende Hand seines Gemeindehirten.
Mit dem hätte er gern noch ein bisschen das Ratespiel fortgesetzt, wenn nicht genau in diesem Augenblick die Essensglocke im Kinderheim gerufen hätte. Er sprang auf und verließ den Pfarrer mit der kindlichen und doch so gläubigen Antwort: „Gott, der Herr, hat sie gezählet! Das reicht!“
„Ja, und er rief sie mit Namen und hat an allen seinen Wohlgefallen. Auch an dir, mein Dreckspatz!“ Der sauste nun los. Er hat es doch gewusst: Gott im Himmel hat an allen seine Lust und Wohlgefallen. Er liebt auch ihn, das ist wahr.
Auch Pastor Hey machte sich auf den Heimweg. Dabei gingen ihm alle jene Fragen hin und her durch den Kopf. Leben und Fröhlichkeit kommt von Gott. Für belohnte Mühe und Sorglosigkeit waren aber er und die Christenmenschen in Ichtershausen zuständig. Das wollten sie auch tun.
Nun war es für ihn keine weitere Anstrengung mehr. Zu Hause angekommen setzte er sich nicht an den gedeckten Tisch, sondern ging schnurstracks an sein Schreibpult, nahm ein weißes Blatt her und tauchte die Feder in die Tinte. Es schrieb sich fast wie von alleine:
Weißt du, wie viel Sternlein stehen
an dem blauen Himmelszelt?
Weißt du, …
… weißt du?
Gott im Himmel hat an allen
seine Lust, sein Wohlgefallen,
kennt auch dich und hat dich lieb.
Nach Psalm 147,4 ist es Gott selbst, der die Sterne zählt und mit Namen nennt. Täglich werden es mehr, wie uns die Astronomie sagt. „Zählen“ aber meint den haushalterischen Akt, dass alles seine Ordnung habe und seine Zahl, seinen Platz und seinen Namen. Ich habe gelernt: „Jedes Ding hat nur einen Platz!“ Weil Gott ordnet, hat jedes Ding auch seinen Wert. Gott zählt und sucht, was er verloren hat, bis er´s findet. Dazu die klassischen Gleichnisse Jesu in Lukas 15.
Wie oft wird Johann Wilhelm Hey dieses beruhigende Kinderlied seinem eigenen Söhnchen gesungen haben, das noch ein Jahr später auf die Welt kommen sollte. Denn Gott kennt auch dieses Kind und hat es lieb. Wie alle Kinder und alle, die Kinder des himmlischen Vaters sind.
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