Das Jesuskind von Ostrowice
Friedrich Hoffmann
Ich bin ein Deutscher, der dir das erzählt, musst du wissen. -Trinken wir einen!-
Und der es erschossen hat, vor unseren Augen hochgehoben und erschossen, das war ein Deutscher. Aber auch der geschrien hat und es retten wollte und selber umkam, das war auch ein Deutscher, das musst du mir glauben. Und das Kind war ein Judenkind. -Na, trink schon!-
Es war in Polen. Wir waren eingesetzt als Säuberungskommando. Nur zum Zusammentreiben. Das Erledigen machten andere. Es gab da Sammeldörfer mit Juden. -Komm, trink doch!-
Das ist noch angenehmer als Zigeuner. Juden schreien nicht so. Die sterben ruhiger. Die glauben an was. Wir hatten einen dabei, der war dagegen. Häschen nannten wir den. Er sagte nichts, aber er war dagegen. Man merkt ja sowieso, was einer denkt. Pech halt, dass er in unserer Einheit war. Und der Alte verstand keinen Spaß. Ich war ja auch dabei und wusste nicht, was ich von dem Ganzen halten sollte. Bis zu dem Tag. Es muss Advent gewesen sein. -Na, trink schon!-
Wir hatten ein Dorf verladen. Das ganze Dorf leer: Alles auf den Lastwagen, die im Viereck standen. Viel Jammern war gar nicht zu hören. Schnee lag auch, aber nicht viel. -Na, nun trink doch!-
Der Spieß machte mit zwei Mann die Runde durch die Hütten. Da krabbelt ihm aus dem Ofenstroh ein Kind entgegen. Vergessen oder versteckt, was weiß ich, so ein oder zwei Jahre alt. Er bringt's raus und der Alte, der schon ungeduldig war zur Abfahrt, macht ihm ein Zeichen, dass er's hinters Haus bringen soll. Da stürzt Hänschen vor und schreit: „Nein! Nein!“ und reißt ihm das Kind aus der Hand. „Das ist doch das Jesuskind!“ schreit er. Das Jesuskind! Verrückt, wie? Und wir lachen auch noch. Aber nicht alle, das musst du mir glauben. Und er läuft davon, wie irre, ringsum war ja abgesperrt, und drückt das Kind an die Brust und knöpft es sich in den Mantel ein, alles im Laufen.
-Trink doch noch einen!-
Na, du weißt schon, Frontkoller. Und die von den Wagen und wir gucken zu. Es verliert ja manchmal einer die Nerven, aber den hat es gepackt. Schließlich stürzte er sich an die nächstbeste Hauswand. Er zitterte und hielt das Kind im Mantel fest und schrie immer: „Das ist doch das Jesuskind! Das ist doch das Jesuskind!“ Ich sag dir, sie mussten ihn umlegen, er gab das Kind nicht her. Saß da wie eine Madonna. -Komm, trink doch!-
Ostrowice hieß das Dorf. Mit stieren Augen an der weißen Hauswand. Wie eine Madonna, sag ich dir. Mir hat's noch niemand geglaubt, dem ich's erzählt habe. So klein war's, wie er's hochhob. Ich kann kein Weihnachtsbild mehr ansehen seit der Zeit. -Na komm, komm, trink noch einen!-
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